Spiegelungen, Narzisstische Mütter, Despotische Führer

| Keine Kommentare

Der schönste Narziss-Mythos der Welt

 

Paolo Coelho beginnt sein  Erfolgsbuch Der Alchimist mit einer Erzählung :

Als Narziss starb, verwandelte sich die Quelle seiner Freuden von einer Schale voll süßen Wassers in eine Schale voll salziger Tränen, und die Bergnymphen kamen weinend durch den Wald, dass sie zur Quelle singen und dieser Trost geben konnten.
Und als sie sahen, dass die Quelle von einer Schale voll süßen Wassers sich in eine Schale voll salzige Tränen verwandelt hatte, da lösten sie die grünen Flechten ihres Haares und sprachen weinend zur Quelle: „Wir wundern uns nicht, dass du auf diese Weise um Narziss trauerst, – so schön war er.“
„War Narziss denn schön?“ fragte die Quelle.
„Wer sollte das besser wissen als du?“ antworteten die Bergnymphen.
„An uns ging er immer vorbei, dich aber suchte er auf und lag an deinen Ufern und sah auf dich hinab, und im Spiegel deiner Wasser spiegelte er seine eigene Schönheit.“ Und die Quelle antwortete:
„Aber ich liebte Narziss, weil, wie er an meinem Ufer lag und auf mich niederblickte, ich im Spiegel seiner Augen stets meine eigene Schönheit sah.“

 

Lange hatte ich gedacht, Coello hätte hier aber die alte Mythen-Version stark umgedichtet, beließ es dabei, dass jeder mit alten Geschichten verfahren darf, wie er will, schließlich ist jede neu entstandene Version als neue Interpretation zu verstehen, die dem Publikum zusagen kann oder nicht.  Im Nebensatz eines Nebensatzes hatte Coello  erwähnt, dass sein Erzähler die Version von Ocar Wilde wiedergibt.
Der Narzis-Mythos aus den Metamorphosen des OVID muss hier draußen bleiben, fast, als bekenne man sich prinzipiell nicht zu OVID – aber was ist das für ein Prinzip?

Bemerkenswert fand ich an der Neuschöpfung, dass das Phänomen der doppelten Spiegelung, des gespiegelten Spiegels auftaucht, hier einmal mit den Augen als menschlicher Spiegel – des Spiegels, der derart urplötzlich beseelt ist und sogar sprechen kann.

Wahrscheinlich kennen wir alle das optische Phänomen, dass wir uns, bei geeignetem Abstand und am Ehesten bei gedämpftem Licht, in den Augen des Gegenübers spiegeln und umgekehrt – genauer gesagt in der in der Dämmerung geweiteten Pupille.

“Oder wissen Sie nicht, dass Pupille Kindchen bedeutet, dass also das Auge Symbol des Weibes ist, weil man sich im Auge klein widergespiegelt sieht?”

In: Groddeck, Georg: Das Buch vom Es; psychoanalytische Briefe an eine Freundin, Ullstein o.J., S. 175

Bei dieser Aussage über zwei Sachverhalte fällt ein, dass das englische “pupil” ja “Schüler” bedeutet, und wenn schon ein sprachlicher Ur-Zusammenhang Pupille-Kind besteht, ist auch der letzte Teil (aus eigener Erfahrung?) nachvollziehbar; die “Ur-Spiegelungserfahrung” in den mütterlichen Augen anzunehmen. Ob das Auge “Symbol des Weibes” ist, können wir auch offen lassen. Sich in den Augen des Anderen zu spiegeln, ist jedenfalls ein “Prozess auf Gegenseitigkeit”, vielleicht mit narzisstischen Elementen wie Quelle und Spiegelbild verknüpft, vielleicht mit gegenseitiger “narzisstischen Zufuhr”, irgendwie…

“Das also hat schon Coello erkannt” sollte man jetzt nicht sagen, denn Coello hat bei Oscar Wilde, aus dem “Bildnis des Dorian Gray” zitiert, und bei der freien Schilderung so einer “Szene an der Quelle” wird er es nicht angemessen gefunden haben, seine Quelle wissenschaftlich, mit (Autorenname/Jahreszahl/Seite) zu kennzeichnen.

Man kann sich auch nicht alle Quellen-Daten merken, und heutzutage lebt es sich mit der Annahme, dass nicht jedes “Copy und Paste” gleich ein Plagiat sein wird, einfach unbeschwerter – könnte man annehmen.
Die  lebenswichtigen “Elixiere des Lebens”, die Emotionen wie “Bindungsgefühl, Sexualität, Aggressivität, Scham, Schuld, Angst, Trauer, Sinnenfreude, Entspannung, Neugierde und vieles” formen sich nachgeburtlich aus, und wenn ihre Entstehung im Zusammenhang mit der Urspiegelung steht, hängt viel von der jeweiligen Art dieser Spiegelung ab – wir dürfen den Passus , dass “…   ich im Spiegel seiner Augen stets meine eigene Schönheit sah” als Hinweis auf das Bedürfnis der Quelle nach Bewunderung und (Selbst-) Spiegelung verstehen, also auch für die Quelle einen “narzisstisch getönten Charakter” annehmen. Scheinbar hatte die Quelle Narziss betrachtet, doch eigentlich sich selbst bespiegelt, oder gespiegelt, vielleicht in Verbindung mit einer Portion Verklärung.

 

 

Narzisstische Mütter

Stellt sich innerhalb der heutigen Jugendpsychiatrie und Psychotherapie die Frage, was narzisstische Müttter  sind und wie sich das äußere, erhalten wir diese Auskunft:

“Narzisstische Mütter sehen in ihren Kindern sich selbst. Sie lieben ihre Kinder ungemein, sie lieben, wie die Kinder sie bewundern.”

Das Kind spiegelt sich in den Augen der Mutter – und die Mutter spiegelt sich in den Augen des Kindes.
Während Kinder ihre Eltern noch “unbedingt” lieben, kommt es vor, dass die Bedingung, unter der sie geliebt werden, lautet: “Nur wenn du dich so entwickelst,  dass es deinen Eltern gefällt, und du unsere Sehnsüchte stillst” – wir ahnen, dass das auf entsprechend angepasste, zurechtgestutze junge Menschen herausläuft, auf “Persönlichkeitsentfaltung im Spalierobst-Maßstab”.
Aus einer Zitate-Sammlung:

“Was uns krank macht, ist das Undurchschaubare, die Zwänge der Gesellschaft, die wir durch die Mutteraugen in uns aufgenommen haben und die wir durch keine Lektüre oder Bildung loswerden können.”
Alice Miller: Das Drama des begabten Kindes, 1. Aufl. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1983, S. 160

 

Nehmen wir also beruhigt an, dass es Mütter gibt, die sich wie die Wilde’sche Quelle in den Augen des Kindes spiegeln, und dass es Kinder gibt, die sich in den Augen der Mutter entdecken (die ja einen eigenartigen Glanz ausstrahlen), spiegeln und dabei fasziniert sind. “Spiegelung” hat ja so viele Aspekte…

“Vor Glück strahlen”, eine positive  Ausstrahlung haben, wenn sich das ergibt, ist es allgemein erfreulich, wenn es in der Mutter-Kind-Dyade entsteht, hält doch die Ausstrahlung auch darüber hinaus an.
Ohnehin kann es im biologischen Programm angelegt sein, Mutterschaft zu belohnen; vielleicht hormonell vermittelt, scheint es rund um Schwangerschaft und Mutterschaft emotionale Gratifikationen zu geben, die auch auf das soziale Umfeld überspringen und  bei der Begegnung mit einer Schwangeren oder einer Mutter mit Kleinkind ein Lächeln auslösen können.

Die Spiegelung ist eine “optische Rückmeldung”, die zwischen Kind und Erwachsenem stattfinden kann – angeboren oder erworben  ist eine Art Reflex, der das Kind, wenn es ein menschliches Gesicht erblickt, lächeln lässt: Das “Drei-Monats-Lächeln”.

 

 

Donald Trump und die narzisstische Mähne

Eine Mutter, die „geisterhaft abwesend“ erschien, so dass  “… die Beziehung zwischen Mutter und Sohn offensichtlich von Distanz geprägt war”, sei Mary Anne MacLeod Trump, die Mutter von Donald Trump, dem 45. Präsidenten der Vereinigten Staaten gewesen, heißt es. Wenn dessen Nichte, Mary Trump, ein Buch schreibt, in dem sie ihren ihren Onkel als  “… verlogenen und kaltherzigen Narzissten mit einer komplizierten Familiengeschichte” beschreibt, dürfte es sich mal wieder um einen Fall von “Supernarzissmus” handeln, doch welche Familiengeschichte ist nicht irgendwie kompliziert? Unkompliziert ist es wiederum, aus dem überall verbreiteten Tratsch und Klatsch über prominente Kreise Kapital zu schlagen.

Donald Trump zum Narzissten zu erklären und zu meinen, damit sei alles erklärt, ist eben eine Verkürzung, die nicht viel erklärt. Die Geschichte des “Citizen Trump“  zu erzählen, wie sie ist und war, wird dabei nie alle Aspekte des Geschehens abdecken können – entscheidend war vielleicht, dass die Wähler auf das scheinbar Positive beim “America First” hereingefallen sind, nachdem Obamas “Yes, we can” nur bewiesen hat, dass die Ansprüche und Erwartungen sowohl  der waffenvernarrten “Bildungsbürger” als auch der wirklich Unterpriviligierten vom System nicht erfüllt werden.
Donald Trump, konzentriert, während eines Interviews

“Person, woman, man, camera, TV”, also fünf Begriffe muss man sich erst einmal merken können! So erklärt es Donald Trump fast zwei Minuten lang in einem Interview, so dass man meint, in einer Endlosschleife gelandet zu sein, und der Interviewer lässt seinen Präsidenten in Ruhe ausreden.

Trump ist nicht echt, sondern ein schlechter Schauspieler, der mit der Rolle, die er “zufällig” spielen wollte, nicht mehr klar kommt. Eine schlechte Kopie auch seine Frisur:

Dieser Narziss, geschaffen von einem Künstler mit eingängigem  Namen – “Tischbein” – befindet sich im Besitz des Landes Hessen.

 

Es war mal in Mode, eine Handvoll von Führungspersönlichkeiten – wie Mao, Stalin, Hitler, Trump und so weiter (auch Napoleon muss hier genannt werden) anzuführen und sodann über “narzisstische Persönlichkeitszüge” mehr oder weniger empört zu referieren. Darf es auch eine Nummer kleiner sein?

Es darf – im folgenden Artikel; “Narzismus vor der eigenen Haustür” heißt der dann, vielleicht.

 

 

*

Übersicht:
Ovid, Der Narzissmus-Komplex, Episoden

*

 

Hinterlasse eine Antwort

Pflichtfelder sind mit * markiert.

*