Mythologie ist die Kunst, von Göttern zu erzählen

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Verhält sich der Mythos zur Mythologie wie das Wort zum Satz, wissen wir unabhängig von der Mythologie nichts von dem Mythos oder Mythologem.  Nach KERENYI ist die Mythologie eine

besondere Tätigkeit und die daraus entstehende Gattung eine Schöpfungsart, die sich nun tatsächlich unterscheidet von dem nicht bekannten, … das die Voraussetzung dieser Tätigkeit bildet – und das kann meinetwegen “der Mythos” genannt werden – aber auch von der ausgesprochen dichterischen Tätigkeit.”

Auf der Grundlage, dass wir “in der Mythologie nie hinter die Erzählungen kommen, obwohl wir wissen, dass die Erzählungen gewisse Voraussetzungen haben”, entwickelten KERENEYI  “eine Art Definition”:

“Mythologie ist die Kunst, von Göttern zu erzählen”. Die Frage, “was ist ein Mythos?” bleibt also offen. Der Wunsch, “hinter die Erzählungen zu kommen”, erfüllt sich immer nur zum Teil:  Ob eine Geschichte vom Mond aus der Zeit vor der Entwicklung des Fernrohrs stammt oder nach einer Mondlandung erzählt wird, führt zu unterschiedlichen Darstellungsweisen.

Trotz des umfangreichen Materials, das in der Soziologie, Anthropologie, Ethnologie. Volkskunde Psychologie, Religionshistorik und anderen Wissenschaften untersucht worden ist, bleibt die Theorie des Mythos umstritten. Jede Studie gibt eine andere Antwort, und manche dieser Antworten stehen in offenem Widerspruch zueinander. (Vgl. CASSIRER 1947, S. 8 )

Wert und Bedeutung des Mythos sind umstritten, und eigentlich ist es interessanter, wie wir zu ihm Stellung nehmen, als wie er zu erklären ist.

Welchen Platz hat der Mythos in einer “Geschichte des Denkens”? Wie verhalten sich mythisches Denken und rational-dialektisches Denken zueinander? (vgl. GULIAN 1981, S. 18)

MALINOWSKIs Einteilung in

“erzieherisch-lehrhafte, die praktische Kenntnisse vermitteln, in solche ethischen oder juridischen Charakters, die bestimmte Verhaltensregeln aufstellen, und in solche, die magisch-religiöse Bräuche oder Riten begleiten”

- also die Betonung der praktischen Funktion des Mythos schließt die Deutung des Mythos als “Äußerung der Erkenntnis” keinesfalls aus.

GULIANs Definition:

“Wenn … der Mythos kosmogonische (Kosmogonie: Mythische Lehre von der Entstehung der Welt/wissenschaftliche Theorie-Bildung von der Entstehung des Weltalls; d. Verf.), botanische, geologische, wirtschaftliche, soziale, historische, psychologische Fakten enthält, ferner solche, die sich auf die Ethik, das Recht, die Kunst beziehen, … – ist es dann nicht natürlich, dass wir den Mythos wirklich als eine “außerordentlich komplexe kulturelle Realität” betrachten, … das heißt als Phänomen, welches eine magisch-religiöse Funktion besitzt, aber noch viele andere Bedeutungen hat?”

Die “Polyvalenz des Mythos” verlangt  “nach einer elastischen Methode, welche frei ist von präformierten oder deformierten Auffassungen, wie sie häufig aus der Beschränktheit des Fachdenkens entstehen”.  (GULIAN 1981, S. 12 u. 17)

Die Durchmischung von Mythos und Märchen ließ GULIAN (S. 109 f.) an eine “Koexistenz der Einstellungen zur Welt” denken, was, da wir je unterschiedliche Leitmythen und -Märchen haben, auch eine berechtigte Meinung ist.

Zu verstehen,  um was es sich bei der Mythologie handelt, war  sodann auch Anliegen von HORKHEIMER und ADORNO mit ihrer Ein- und Ausgangsthese “”Schon der Mythos ist Aufklärung, und Aufklärung schlägt in Mythologie zurück”.   ([4]1977, S. 5)

Das Wesen der modernen Wisseschaft, “des Wissens”, zielt

“…  nicht auf Begriffe und Bilder, nicht auf das Glück der Einsicht, sondern auf Methode, Ausnutzung der Arbeit anderer, Kapital. … Nicht auf jene Befriedigung, die den Menschen Wahrheit heiße, sondern auf >>operation<<, das wirksame Verfahren, komme es an.”

Wenn Natur (also auch die menschliche) mathematisch erfasst werden soll, muss auch Unauflösliches von mathematischen Formeln umstellt werden, die zu Ende gedachte mathematisierte Welt wird als Wahrheit verstanden und diese “…Gleichung von Geist und Welt geht am Ende auf, aber nur so, dass ihre beiden Seiten am Ende gegeneinander gekürzt werden. (S. 25 ff)

Mit der Sprache sind die Mythen von Menschen auf einer präanimistischen Stufe entwickelt worden. Dabei treten Begriff und Sache auseinander. Die mythische Darstellung der Schöpfung ahmt die Natur symbolisch nach, wenn die Welt aus der Urmutter, der Kuh oder dem Ei hervorgeht.

Das  Mana, der “Schrecken der Natur”, wird in der sprachlichen Dialektik verdoppelt, und die Götter, die die versteinerten Laute der Furcht als Namen haben, können den Menschen die Furcht nicht nehmen. Die vom Mana beherrschte Welt ist ewig gleich, in ihr wird Geburt mit Tod, Glück mit Unglück bezahlt. Die Gerechtigkeit trägt die Züge des Schicksals, das der unentrinnbare Kreislauf der Natur darstellt.

In den religiösen Riten drückte sich (noch) aus, dass Zeichen und Bild zusammenfielen, wie auch bei den Hyroglyphen. Wegen der Bildhaftigkeit des Mythos konnte er leicht “exportiert” werden.

Der Kern der Symbolik wird auch nicht vom Spott über die allzu menschlichen Götter berührt, da diese etwas vom Mana beibehalten haben und Natur als Macht verkörpern. Die Präsenz der Götter in der Aufklärung ergibt sich daraus, dass sie nach dem heutigen Verständnis das Unbewusste verkörpern.

Dass es “Götter” gibt, beweist nicht, dass sie aus dem menschlichen Unbewussten geschaffen sind, aber die menschlich – allzu menschlichen Eigenschaften der Götter, die aus dem Menschen aufgetaucht sind, können aus heutiger Perspektive beobachtet werden, wozu ihre  Schöpfer noch nicht in der Lage waren wie wir.

Zu bedenken wären auch die ungeklärten Wechselwirkungen zwischen Unbewusstem und Archetypen und das Verhältnis von Erfundenem und Wahrheit. Ein Zugang zum Mythos ergibt sich, “indem man versteht, welche Notwendigkeiten im Gang des Bewusstseins der Menschen selber in diesen Bilder sich niedergeschlagen haben” (ADORNO IN ADORNO/KERENYI 1988).

Mit der Lehre von den Elementen etablierte sich eine frühe Wissenschaft, die “Arbeitsteilung” von Wissenschaft und Dichtung, die Kritik der Kunst, die nach PLATON ihre Nützlichkeit erst zu erweisen habe: Homer habe mit seiner vielgerühmten Kunst weder öffentliche noch private Reformen durchgesetzt noch eine Erfindung gemacht. Allerdings war PLATON vielleicht auch kein Prophet und hat sich nicht auf die kommende Dichtung bezogen. Es gibt da vielleicht nach HOMER das eine oder andere Lehrgedicht mit einer gewissen Sprengkraft.

Für Homer galt:

Mythos “ist das >>Wort<< als unmittelbares Zeugnis dessen, was war, ist und sein wird … in dem altehrwürdigen Sinn, der zwischen Wort und Sein nicht unterscheidet”. Daneben hatte das Wort bei HOMER noch die Bezeichnung ‘Epos’ (“das Wort von der Stimme her als das Gesprochene”) und ‘Logos’ (“vom Verstehen und Beobachten her als das Bedachte”), wobei Logos jünger ist als Mythos (vgl. W.F. OTTO 1947, S. 71).

Die Odyssee ist also ein Epos mit mythischen Elementen; Platons Kritik wird mehr und mehr fragwürdig, wenn wir uns mit der Funktion dieser Erzählung näher beschäftigen, dass Erzählungen in verschiedenster Gestalt, heute auch animiert und in höchster Bildauflösung verfügbar, eine andere Funktion als “der Mythos”  haben, erscheint logisch. “Zwischendrin” müssen wir uns noch das Märchen, aber auch andere Literaturgattungen denken.

 

 

 


 

Wie die mythische Figur des Narziss es geschafft hat, bis heute zu überleben, nämlich  – “namentlich” sich in unseren Alltag, in Alltagssprache und  wissenschaftliche Begrifflichkeit einzuschleichen:

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Übersicht:
 
Ovid, Der Narzissmus-Komplex, Episoden

 

 

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