Nora in Mainz: Ein Puppenspiel, oder: Alles Theater?

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Ibsen hat uns mit “seiner” Nora so einiges zugemutet. Wir wollen ja das Stück verstehen, die Handlung, die Konflikte der Figuren, ihre Wünsche…

Wenn wir einmal mitten in den Text springen -

Nora.
Ich möchte so riesig gern etwas sagen, und Torvald müßte es hören.

Rank.
Und warum sagen Sie es denn nicht?

Nora.
Nein, ich darf nicht; es ist gar so garstig.

Frau Linde.
Garstig?

Rank.
Ja, dann ist es wohl nicht ratsam. Aber zu uns können Sie doch –. Na, was möchten Sie denn so gern sagen, daß Torvald es hörte?

Nora.
Ich möchte so riesig gern sagen: Himmelkreuzdonnerwetter!

 

Tatsächlich aber kommt Nora nicht zum Fluchen, kommt nicht dazu, unterdrückte Aggressionen zu äußern, sondern ist bemüht, in ihrer Rolle als Ehefrau und Gattin alles richtig zu machen, und sei es im Geheimen.

Himmelkreuzdonnerwetter!

Inhalt und Problematik des Stücks:

In ihrem gemütlichen Heim freuen sich der aufstrebende Rechtsanwalt  Helmer, seine Frau Nora und die drei Kinder auf das Fest der Liebe. Endlich scheinen jahrelange finanzielle Sorgen überwunden, Karriere und Aufstiegschancen gesichert. Helmer wird im neuen Jahr Bankdirektor, und Nora kann endlich hemmungslos shoppen. Er nennt sie zärtlich „Häschen“ und „Kolibri“, sie schmückt den Weihnachtsbaum, hält trällernd ihren rasch gelangweilten Gatten bei Laune – und hütet ein Geheimnis. Denn hinter der heilen Fassade bröselt es längst: um eine teure Erholungsreise für ihren Mann zu finanzieren, hat Nora vor Jahren bei Krogstad Geld geliehen und dabei die Unterschrift ihres sterbenden Vaters gefälscht. Auch weil Helmers rigide Moralvorstellungen einen Kredit nicht zuließen – und schon gar nicht die Abhängigkeit von seiner Frau. Als Krogstad ausgerechnet wegen eines ähnlichen Vergehens die Stelle bei der Bank zu verlieren droht, setzt er Nora unter Druck und erschüttert das fragwürdige Familienglück in seinen Grundfesten. „Ein in sittlicher Hinsicht sehr bedenkliches Stück“ urteilte der Kritiker Paul Lindau 1881 über die deutschsprachige Erstaufführung von Ibsens Drama, das bestehende von Doppelmoral und bürgerlicher Heuchelei gezeichnete Gesellschafts- und Familienstrukturen radikal in Frage stellte.

Wie weit aber sind wir in unserer oft auch eher pseudo-emanzipierten Wirklichkeit seither gekommen? Wie stark führen aktuelle Krisen, Abstiegsängste, individuelle Verunsicherung zum Rückgriff auf längst überkommen geglaubte Rollenmodelle? Und auf welchen Lebenslügen basieren gemeinsame Lebenspläne, die vielleicht doch nur Finanzierungspläne ohne feste Basis sind? (Text entnommen der Homepage des Staatstheaters Mainz)

Mitwirkende:


Inszenierung Matthias Fontheim

Bühne Michael Rütz

Kostüme Valerie Hirschmann

Dramaturgie Katharina Gerschler/Nadja Blank

 

Nora Pascale Pfeuti

Dr. Rank Marcus Mislin

Helmer  Stefan Walz

Frau Linde Karoline Reinke

Krogstadt Zlatko Maltar

Anastasia Nathalie Lilly Volk 

“Endlich kann sie hemmungslos shoppen” stammt allerdings nicht von Ibsen. Es ist dies wohl auch die falsche Fährte – zu sehr wird Nora anfangs als das inkompetente Luxusweibchen, das nicht mit Geld umgehen kann, dargestellt.

Das Vorurteil bilden sich die Zuschauer, weil Ibsen das so will, und weil sie zu Vorurteilen neigen.

So gesehen, “erzieht” Ibsen das Publikum, hat er ein Lehrstück geliefert.

screenshot

Nora gerät ins Trudeln, als sie wegen ihres Geheimnisses erpresst wird.

Nach der Aufdeckung ihres Geheimnisses allerdings ändert sich ihr Auftreten, sie spielt nicht mehr mit im Puppenhaus.

Janet McTeer sieht in der “revelation” den Angelpunkt des Stücks, das ihrer Meinung nach nicht als feministisches, sondern als Darstellung einer Beziehung zu sehen ist.

Vielleicht ist es wirklich die Darstellung einer Symbiose: Zwei unvollständige Wesen orientieren sich an den Rollenvorschriften ihrer Gesellschaft, und als die Symbiose auseinanderbricht, weiß keiner, wer er ist.

Nora hat für Helmer viel gewagt, aber der dankt es ihr nicht, sondern verhält sich illoyal. Damals hätten nur wenige Frauen den offenen Bruch der Beziehung gewagt, heute wird er vorverlegt oder es gibt keine Beziehung, die zerbrechen könnte.

 

 

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