Die Politik gibt in letzter Zeit, wie eigentlich immer, Anlass zur Besorgnis:
“Thüringen und Kemmerich” standen letztlich für eine gravierende Begriffsverwirrung hinsichtlich “libertär”, “liberal” und “neo-liberal” oder auch “rechts” und “links”.
Wir wissen nicht, was der Interims-Ministerpräsident beim Händedruck mit Bernd Höcke empfand – konnten in der Zeitlupe nur sehen, wie mal der eine, mal der andere Kopf sich vor dem Gegenüber (ver-) neigte, mal wirkte der eine nicht so recht glücklich, mal der Andere hochmütig, mal artig und devot. Zu Glückwünschen bestand dabei kein sachlicher Anlass, woran auch der Blumenstrauß zu Füßen des MP nichts ändern konnte.
“Extremismus” erzeugt “Extremisten” (oder doch umgekehrt, oder ist das sowieso gedanklicher Unfug?) die sich in machen Modellen schließlich an den Enden eines gedachten Hufeisens auf gleicher Augenhöhe gegenüberstehen. Wenn es nur Links, Mitte und Rechts gibt, ist das eindimensional gedacht; die Diskussion streifte auch ein weiteres Denkmodell, das eine zusätzliche Koordinate, “Kollektivismus und Individualismus” beinhaltet und einen in allen Demokratien gültigen “politischen Kompass” anbieten will, der auch in einem Video vorgestellt wird.
Gewalt anwenden und Gewalt befürworten ist erstens nicht das Gleiche und zweitens waren und sind die sogenannten Linksextremisten keine Linken. Bei der RAF handelte es sich schließlich um ausgebildete Kämpfer – um Terroristen.
In den Reihen der “Pegida” gilt Gewalt als mal mehr, mal weniger normal – “man hat so seine Gründe”.
Von den überwiegend älteren Besuchern der Kundgebung wurde der Thüringer AfD-Chef frenetisch gefeiert. In seiner Rede attackierte Höcke das – wie er es nannte – polit-mediale Establishment, das aus seiner Sicht Deutschland zerstöre. Die „Konsensdemokraten“ der etablierten Parteien würden unter Führung der Bundeskanzlerin Merkel eine nationale Einheitsfront bilden, um Demokratie und Menschenwürde zu beschädigen, sagte er.
“Wo Deutschland zerstört wird, wird Widerstand zur Pflicht” – so eine fiktive Parole, die sich hoffentlich nicht die Falschen unter den Nagel reißen.
Die Bedrohung von “Demokratie und Menschenwürde” seitens “dieser nationalen Einheitsfront” muss Höcke oder ein*e Redenschreiber*in zwar erfunden haben – doch was bezwecken diese Phrasen?
“Deutscher Pudel markiert sein Revier im Rudel” – so eine Aussage ist ähnlich sinnfrei wie das, was der besagte Redenschreiber erzählt. Und irgendein Körnchen Wahrheit daran ist nicht auszuschließen: So ist das mit Parolen, die keinen unmittelbaren Sinn ergeben sollen.
Propaganda wirkt – sonst würde sich niemand damit abgeben. Besonderheiten der NS-Propaganda zu beleuchten und verwandte Ansätze in der “Argumentation” der NPD offenzulegen, war 1967 Thema bei Theodor W. Adorno; aus dem Vortrag “Aspekte des neuen Rechtsradikalismus” entstand 2018 ein schmaler Suhrkamp-Band: Es könnte ja sein, dass der Inhalt (wieder) recht aktuell ist. Es gibt da eine
Bestürzende Aktualität von Adornos Vortrag
- so ein Heise-Artikel, und wer Antonio Gramsci noch nicht kennt, lernt ihn beim dort verlinkten Weidel-Artikel kennen. Jener italienische Denker habe “… die Theorie [aufgestellt], einer politischen Machtübernahme müsse die Erringung der „kulturellen Hegemonie (Vorherrschaft)“ vorausgehen.”
Nicht ganz folgenlos, diese Denkweise, denn, das ist überliefert, Hitlers Kameraden wussten die Presse gleichzuscshalten und den Rundfunk dem Volke empfangbar zu machen. Mit aberwitzig riesigen Monumenten, verbrannten Büchern und verbannten Dichtern und Denkern war die kulturelle Herrschaft ein leichter Sieg. Heute ist die kulturelle Vorherrschaft bei Medienhäusern, Suchmaschinen-Anbietern und der marktgängigen Massenkultur zu finden.
Bei Weidel wird Antonio Gramsci zu einer Art Vorläufer Adornos beziehungsweise der „Frankfurter Schule“, die in Weidels Geschichtsbild mit einiger “Kritischen Theorie” die Kultur brechen wollte, “… um die Grundlage für eine marxistische „Kulturrevolution“ zu legen.”
Das scheint in keinster Weise den Tatsachen zu entsprechen – hatte nicht Adorno (mit Horkheimer) die Grundlagen der Kultur und ihrer Vermittlung untersucht, die nur scheinbare Unveränderbarkeit der Werte und auf die Gefahren der (be-)trügerischen Massenkultur hingewiesen?
Merken wir uns jedoch aus dem Heise-Artikel “… Adornos Charakterisierung des manipulativen Charakters der damaligen Parteiführer, “die gleichzeitig kalt, beziehungslos, strikt technologisch gesonnen, aber ja in gewissem Sinn eben doch irre sind”".
Adorno und die rechte Propaganda – AfD philosophisch betrachtet
Von Gert Scobel könnte man sich zentrale Thesen Adornos vortragen lassen und entspannt zuhören – bei Interesse.
Für die Fortbildung in unseren Parteien und/oder deren Jugendorganisationen wäre “der autoritäre Charakter” mal ein nettes Thema für ein Seminar, oder einen Vor- oder Nachmittag. Das ist der Gehorsame, der auch gern befiehlt, bei dem “Recht und Ordnung” betont werden, festgehalten möglichst, und doch dem Manipulativen entgleiten, wenn es sich um Parteispenden handelt – als wäre ein zinsloser Kredit nichts, mit dem sich Profit machen lässt.
Zum Schluss meint Scobel sinngemäß:
“Handelt – und behandelt Andere so, wie Ihr selbst behandelt werden möchtet. Betrachtet den Anderen nicht als Niemand, sondern als Mensch!”
Eine typographische Katastrophe mit Rechtschreibfehler. Wer “… die, das …” durch “… die, dass …” ersetzt, hat mehr Spaß am Zitat.
Die halbe Wahrheit wird in diesen Kreisen nie durch die andere Hälfte der Wahrheit ergänzt – auch Adornos Kritik war nur die halbe Kritik, denn nicht nur bei der NPD der damaligen Zeit wurde, was gewesen war, verdrängt.
Da wird erzählt, ohne dass es auf logische Zusammenhänge ankäme, nicht nur Wortsalat , sondern auch mittels der Salamitaktik Verwirrung produziert.
Der philosophische Zugang zur Politik kann die Politiker in einem Licht zeichnen, das ihnen nicht allzu genehm ist – hier ist beispielsweise auch Schopenhauers “Eristische Dialektik” oder schlicht “die Kunst, recht zu behalten” zu nennen; dass es hier auch um die (gewollte) Verdrehung der Wahrheit geht, hängt mit Interessen und Zielen zusammen, die verschleiert werden sollen.
Ein Diskurs, der „mit erlaubten und unerlaubten Mitteln“ geführt wird, kann zu keinem gesunden Konsens führen, kommt in “jeder” Diskussion mit “Klimaleugnern” vor (“Aber Sie können mich nicht als Klimaleugner bezeichnen, ich hören jeden Morgen den Wetterbericht”) und gehört quasi zur politischen Grundversorgung – gewollte Konfusion gibt es auch in anderen Zusammenhängen:
Nicht in allen Beziehungen sind alle gleichberechtigt, Machtfragen tauchen auf und das Bedürfnis, das Gegenüber zu beherrschen, “Bestimmer*in” zu sein, auch mit den Mitteln “Lug und Trug”.
8 Tactics Narcissists Use To Confuse Conversations
Wie Narzissten ihre Umwelt (vor allem emotional) ausbeuten, beschäftigt die Geschädigten und viele Psychologen; die Abrufzahlen entsprechender Webseiten und Video-Ratgeber erreichen schwindelnde Höhen, vermitteln manchmal ein wenig geordnetes Fachwissen, meist aus ihrer jeweiligen Perspektive, auch erschreckende Einblicke in mögliche Beziehungskonstellationen ergeben sich.
Heuchelei und Scheinheiligkeit werden hier im Kapitel “Projektion” entdeckt, nach taktischem Themenwechsel (“TOPIC SWITCHEROO”) und ungerechtfertigten Schuldzuweisungen. Laute Angriffe und “das gekränkte Opfer spielen” können sich ergänzen, wer ein Doppelleben führt, wird darüber hinwegtäuschen und nur eine Seite von sich präsentieren, das fehlende Interesse an der Meinung des Anderen “berechtigt” den Narzissten, das Gespräch zu unterbrechen, um seine Meinung in den Vordergrund zu stellen, bei einer eingeforderten Entschuldigung geht es nicht um Versöhnung, sondern um Unterwerfung.
Die Ebene der materiellen Ausbeutung überschneidet sich hier mit emotionalem Missbrauch, Manipulation von Herz, Seele, Geist und Gedanken anderer Menschen.
Weidel war ja, ausgehend von Antonio Gramsci, zum sogenannten “Kulturmarxismus” vorgedrungen, um das so bloßgelegte in der “Jungen Freiheit” zur Bekämpfung freizugeben. Wenn dieser Kampf gegen ein Falbelwesen sich mal nicht zum Kampf gegen die europäische Kultur entwickelt…
Es ist verständlich, dass Adorno die Existenz von Faschismus und faschistoiden Tendenzen weder auf “Narzissmus” zurückgeführt noch mit Narzissmus begründet hat – ordentlich sortiert, gibt es viele Arten von Narzissmus und man darf den Oberbegriff nicht allem überstülpen, weil das nichts verdeutlichen würde.
Festzuhalten ist hier jedoch, dass Narziss ein “Phänomen der europäischen Kultur” ist – eine mythologische Gestalt unter vielen, wie den olympischen Göttern und auch Europa, deren Geschichte und Schicksal allgemein wenig bekannt ist.
Viel gibt es allerdings nicht zu Europa zu sagen – die Jugend sollte wissen:
“Von dem Tage an, dass sich Zeus in der Gestalt des Stiers der schönen Europa näherte, um sie in ein Land zu entführen, in dem sich die Vermählung des Gottes mit der Schönheit unserer Erde vollzog, sind Jahrtausende vergangen. Europa ist mehr als ein Kontinent, … ein heiliges Zeichen der Menschheit.”(1)
Baldur von Schirach, “Reichsjugenführer” sah sich und die Jugend in einer Welt der Helden, Dichter, Philosophen und Komponisten und hatte wohl wenig Einwände, Bücher brennen zu sehen, und Maler als “entartet”. Wie viele Götter wohnen im Olymp, welche Länder gehören zu Europa? Da sind wir ganz unheilig unwissend – und die Ansprachen an die Jugend galten nie ihrer Bildung: Es ging um gehorsame Rekruten.
Der “Europäische Gedanke” wird vereinnahmt – damals wie heute. Nicht für Völkerverständigung (wer das wollte, hätte schon vor Jahren die Idee mit der Interrail-Karte für Alle aufgreifen können), sondern um Rednern ein Podium zu bieten, als Selbstzweck, oder zur Selbstbeweihräucherung.
“Proeuropäisch” müsste heute mehr an Begegnungen zwischen den Nationalitäten heißen, nicht im Tourismus-Modus, sondern als “angewandte Zusammenarbeit”, als Begleitung durch Fremdenführer (“Gästebetreuer” sprachregeln manche lieber), als kulturellen Austausch.
Welcher Nationalität ist Europa? Haben Franzosen, Belgier, Deutsche, Polen, Italiener, Griechen, Türken “europäisches Blut” in ihren Adern, soll man sie als Bio-Europäer bezeichnen – und wie würde Zeus sich fühlen, wenn er Menschen aus “fremden Kontinenten” begegnet? Leiden wir an einer Unterversorgung mit nordischen Gottheiten?
Mit dem “freiwilligen Eintritt” hunderttausender “Kids” in Hitlerjugend und Bund Deutscher Mädel wurde eine Generation gleichgeschaltet, zum Mitmarschieren erzogen, ihrer Jugend, oft ihres Lebens beraubt – doch da scheint es keinen Bedarf der “Aufarbeitung” gegeben zu haben, was “Wehrhaftigkeit und Opfertod” betrifft.
“An einen Angriff auf andere Völker habe ich niemals auch nur im Traum gedacht” – das ist nicht beweisbar. Dokumentiert sind (zynische) Reden, die Baldur von Schirach den ins Ghetto vertriebenen Juden widmete.
Dokumentiert ist, dass Jugendliche in den “Endkampf” geschickt wurden und damit in den sicheren Tod.
Wir haben also glorreiche Zeiten nicht hinter uns, nicht vor uns, und auch keine glorreiche Gegenwart. Es gibt den starken Versuch, Geschichte vergessen zu machen, wenn Gauland sich und uns die “Nazizeit” im extremen Zeitraffer abgekürzt vorstellen möchte, ist das Ergebnis ein heftiger Vogelschiss, der seinen Erfinder nicht mit Ruhm bekleckert.
Strauße cc(1) Schirach, Baldur von: “Sinnbild der neuen Ordnung” in Der Spiegel Geschichte 3/2017, S. 81