Programme zum Plagiate-Finden haben mehrere Probleme: Zum Einen müssen sie ordentlich gefüttert werden, und dann können sie immer noch nicht verstehen, was sie prüfen, und ob das Geprüfte irgendeine Bedeutung hat:
“Den originären wissenschaftlichen Gedanken … werden sie nicht finden und erst recht nicht zu würdigen wissen. Dies kann nur der Doktorvater.” (Quelle)
Das könnte wahr sein: Der wissenschaftliche Gehalt, die neue Erkenntnis in mancher Dissertation, erschließt sich der Öffentlichkeit nicht. Dissertationen werden für die Karriere erstellt, nicht wegen eines Erkenntnisfortschritts.
Fortschritt der Erkenntnis hat eine Basis, von der sie ausgeht, eine Basis, die erst einmal erschlossen, “erobert” werden will. Wovon man ausgeht, ist deshalb zu belegen, dafür gibt es Zitierregeln.
Fußnoten und Belege … sind nicht alles. In der Entrüstung über Flüchtigkeitsfehler und fehlende Belege geht die Frage verloren nach der wissenschaftlichen Substanz. (Quelle)
Ob ein Mammutthema, ein “Megathema” überhaupt zugelassen werden sollte, kann man diskutieren.
“Person und Gewissen. Studien zu Voraussetzungen, Notwendigkeit und Erfordernissen heutiger Gewissensbildung”
- das ist zweifellos ein Riesen-Thema, das deshalb auch “Studien”, den Plural von “Studie”, im Untertitel enthält. “Studieren” kann “an einer Hochschule Themen und Methoden eines oder mehrerer Fachgebiete erlernen” bedeuten (Quelle) , das Gelernte wird dann in der Studie dargestellt. Neben der Themenfrage steht die Methodenfrage, und wenn sich herausstellt,
dass die damals 25-jährige Doktorandin offensichtlich nicht immer ganz sauber gearbeitet hat (Quelle),
haben wir neben dem Mammutthema, neben der Herkulesaufgabe, ein weiteres Problem. Ob die Arbeit von einer gewissenlosen Person stammt, lässt sich nur indirekt in der Satire beantworten, mit der Empfehlung, dass Frau Sharan sich doch noch um das Amt der Päpstin bewerben möge. Hierin drückt sich die Annahme aus, die Kultusministerin verfüge über ein gehöriges Maß an Selbst-Wertschätzung. Das ist zweifellos eine Voraussetzung heutiger Gewissensbildung.
Schavan sollte zeigen, dass sie ein Gewissen hat. Ihre persönliche Integrität kann sie am besten dadurch zurückerobern, dass sie den sauberen Schnitt wagt. Alles andere wäre auch ihrer Lebensleistung als Politikerin unwürdig. (Quelle)
Ob diese Einaschätzung der mittelbayerischen Zeitung wissenschaftlich korrekt ist, muss bezweifelt werden: “Zurückerobern der persönlichen Integrität” setzt ja voraus, dass diese abhanden gekommen ist. Der Titel kann verloren gehen, die Würde des Menschen aber nicht.
Hinzu kommen aber sachfremde Überlegungen (gleiche Quelle), Überlegungen, die sich um Machtfragen drehen:
Die
Noch-Ministerin hat angekündigt, die Entscheidung der Universität
gerichtlich anzufechten. Das ist ihr gutes Recht. Sie macht die Dinge
aber nicht besser dadurch. Sie rettet wohl auch nicht ihren Titel;
die Erfahrung lehrt, dass die Gerichte meist den Hochschulen Recht
geben. Schavan macht sich damit eigentlich nur angreifbarer. Zumal es
nicht irgendein Gremium war, dass die Entscheidung fällte. Es war ein
wissenschaftliches, das über die Einhaltung oder eben
Nicht-Einhaltung der wissenschaftlichen Standards entschied. Dass es
dabei eine Arbeit unter die Lupe nahm, die über 30 Jahre lang
unangezweifelt geblieben war, ist allerdings kurios, weil sich die
Frage stellt, wer da ins Visier genommen werden soll: der akademische
Betrieb generell oder einzelne Personen mit dem Ziel, sie zu
diskreditieren. Letzteres ist gelungen, und es dürfte im Fall Schavan
deswegen besonders schwer wiegen, weil sie Vertraute der Kanzlerin
ist. Merkel kann Schavan nicht einfach fallen lassen; aber sie wird
es versuchen müssen. Im Wahljahr setzt die Union auf eine Karte:
Angela Merkel. Sie steht für Verlässlichkeit, Vertrauen und
Glaubwürdigkeit. Wie glaubwürdig aber ist eine Parteichefin, die
einer Bildungsministerin vertraut, deren wissenschaftliche Integrität
zerstört ist?
Nun, das sind gewissermaßen Gewissensfragen, Gretchenfragen.
An anderen Orten wird nach dem Plagiatsbeauftragen gerufen, der offenbar nicht an zu wenig Arbeit leiden dürfte. Wir sollten dabei nicht vergessen, dass die Gewissensbildung auch ein pädagogisches Problem ist, das Vorbilder braucht.
Das Gewissen leitet sich von einem natürlichen Gerechtigkeitsgefühl ab – das ist aber eine nicht zu beweisende These – und bildet sich substantiell an Elterninstanzen heraus. Frau Merkel, als Kanzlerin und “Mutter der Nation” hat vollstes Vertrauen. Ob das reicht? Immerhin geht es um das reine Gewissen, einerseits, und das Vertrauen der Bildungsbürger in ihre Bildungsministerin. Gewissens-Bildung hat zwei Seiten. Ob Frau Shavan – mit oder ohne Titel, wahrscheinlich eher ohne, es sei denn, sie schriebe eine neue Dissertation – im Amt bleiben sollte, ist noch nicht entschieden. Ein modernes Gewissen ist flexibel. Ein sauberes Gewissen kann eine Bildungsministerin haben, wenn ihre Arbeit gut war und ist. Über die “Leistungsbilanz” des Ministeriums wird auch bei Wahlen entschieden, und wir als Bildungs- und Kulturbürger wissen kaum, was “unsere Bildungsministerin” für uns getan hat.
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»Kunst und Kultur sind der Zukunftsmotor unserer Gesellschaft«
Das ist allemal eine wichtige Aussage. Frau Shaven hat aber ein anderes Ressort; für Kunst und Kultur firmiert Bernd Neumann: Staatsminister für Kultur und Medien.
Diese Ämterteilung ist recht verwirrend, wo das eine Ressort anfängt und wo das andere aufhört ist unklar. Voraussetzungen, Notwendigkeit und Erfordernisse heutiger Gewissensbildung darzustellen, wäre vielleicht eine ressort-übergreifende Maßnahme mit hoher Dringlichkeit, eine (hermeneutische) Kunst allemal.
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