Mit den Stichworten “Habermas – Vortrag – Frankfurt – 2019″ kommt jede Suchmaschine zurecht und zeigt Artikel zum Ereignis an. Dass es einen Feueralarm gegeben hatte und 700 Personen das Gebäude verließen ist bei den Ergebnissen ziemlich weit oben eingereiht, doch keine Angst:
Das war ein mutwillig ausgelöster Fehlalarm. Ein junger Mann war der Meinung, er dürfe/müsse das so machen, denn es waren so viele Zuhörer*innen gekommen, dass nicht jder einen Sitzplatz bekam – macht ja eigentlich nix, aber der Knabe, der offenbar eine verhätschelnde Erziehung hinter(?) sich hat, fühlte sich vielleicht um sein Sitzrecht betrogen.
Der 90. Geburtstag des bedeutenden Philosophen hat zwar nicht den Bundespräsidenten veranlasst, zum Gratulieren herbeizueilen – eine Kultusministerin im feschen Kleide hätte auch Staat machen können – doch wenn die Universität die Hörsääle öffnet und der Philosoph persönlich spricht, wird auch das angemessen sein, und wer meint, das sei ein Ereignis von “lokaler Bedeeutung” wie zum Beispiel ein Winzerfest in Geisenheim, berichtet unter “Lokales”. Zwei, drei Zitate, und fertig: “Das wird ein guter Jahrgang”.
https://www.welt.de/regionales/hessen/article…
Diese Adresse liefert auch den Text des Vortrags aus, dessen Lektüre sicher ein Vergnügen ist – doch wer braucht heute schon/noch geistige Vergnügungen?
Mit dem Lesen eines Berichts über den Vortrag hatte ich Spaß genug:
Der Maulwurf der Vernunft im Hügel der Geschichte
In der ZEIT berichtet Thomas Assheuer über Jürgen Habermas, den dienstältesten Philosophen unseres Landes, der anlässlich seines 90. Geburtstags in Frankfurt am Main 3.000 Student*innen etwas hinter die Ohren schreiben wollte, also einen Vortrag hielt.
Dabei ist die Philosophie ja eigentlich schon tot – wie die ausgestorbgenen Schmetterlingen, die aufgespießt in Glaskästen ausgestellt werden - Überbleibsel einer “vielfältigen” Vergangenheit, die niemand mehr verstehen kann, weil keine Philosophie ohne Geschichte der Philosophie und Quellenstudium, also beherrschtem Altgriechisch, Latein und Weißnichtwas.
In der Originalrezeptur gehört “Mut zur Muße” dazu, Neugier, Geduld, Risikobereitschaft: Wer “zweckfrei”, ergebnisoffen studiert, riskiert, ohne Verwertbares abzuschließen, darf sich sonstwie durchschlagen, denn die akademische Laufbahn wird in undurchschaubaren Verfahren vergeben, damit kann jeder Pech haben.
Mit deutschen Denkern kann man aber auch Dreisprung machen: Das geht Kant -> Hegel -> Marx und [Offenlegung/Analyse] Klassenstrukturen, Machtinteressen, verschleierte Gewalt -> Ideologie.
— Denkpause —
Es folgt ein Feuerreigen, entfacht mit aus den Philosophen geschlagenen Funken, das heißt die symbolischen Bilder vermitteln die Vorstellung vom “Urgestein-Denker”, spenden uns den zündenden Funken, wenn wir mit ihrer harten, scharfen Substanz, dem Feuerstein-Faustkeil zupackend umgehen.
Weil die Gegenwart von einem
- deregulierten Kapitalismus,
- dem Aufstieg autoritärer Nationalisten sowie
- aufwühlenden Identitäts- und Kulturkämpfen
geprägt ist, die “… nur durch eine gemeinsame politische Kultur entschärft werden [könnten]“, sind die Nationalstaaten mit den grenzüberschreitenden Problemen überfordert, und grenzüberwindende Lösungen müssen her.
Die Lösungen zu holen, zu finden ist Aufgabe der Vernunft, um im Bilde zu bleiben, des Maulwurfs der Vernunft,
“… der unter einem Berg von Problemen nach Antworten sucht, ohne zu wissen, ob er welche finden wird. Im Gehäuse des abgeschlossenen Nationalstaates findet er sie jedenfalls nicht.”
Nehmen wir an, dass Maulwürfe ein besonderes “Set” von Sinnen haben und vergrabene Schätze, Perlen, Geschmeide weit unter der Erde orten und bergen können. Dabei dürfen wir die Idee vom Schatz nicht allzu materialistisch verstehen – in der Philosophie geht es natürlich um geistige Schätze…
Für Habermas wäre schon viel gewonnen, wenn sich die Zivilisation an ihre Lernprozesse erinnert, pathetisch gesagt: an die Bildungsgeschichte des Geistes in der Auseinandersetzung zwischen Glauben und Wissen.
Als neulich die vielseitig interessierte Frau Krammpp-Karrenbauer unter Berufung auf die Schöpfung und Schöpfungsgeschichte ihren großen Umschwenk zur nachhaltigen Politik kund tat, war sie schon an der Peripherie dieser Bildungsgeschichte, in der Nähe der Mythen.
Möglich, dass eine mit sich selbst überworfene Zivilisation im Nebel der Kämpfe dann ihre gemeinsamen Wurzeln entdeckt, das kollektive Interesse an Vernunft und Selbsterhaltung.
Ist das weit weg vom Leben? Nein, es ist mittendrin.
Wenn die Physiker nicht irren – und augenscheinlich haben sie ja Prognosen gefertigt, die momentan sinnlich erfahrbar richtig waren – müssen wir einen Kurswechsel vornehmen.
Setzt Selbsterhaltung Selbstreflektion voraus?
Manche könnten denken: “Hoffentlich nicht!” Denn zur Selbstreflektion gehören so “bescheuerte” Fragen wie
- Wozu brauchen Viele derart starke Autos?
- Ist übersteigerte Selbstliebe (“Narzissmus”) erworben oder angeboren, kurierbar oder erwünscht?
- Warum nur kann Aufklärung kippen und zur reinen Mythen-Erzählung verkommen?
- Ist Leben im Einklang mit der Natur, in einer besseren Gesellschaft, nur Utopie, oder relativ möglich?
- Wie “handeln” wir den Hass, das sogenannte Böse, die Destruktivität?
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Der Maulwurf, um schließlich ein Geheimnis zu lüften, ist der eigentliche Vater der “Tiefenpsychologie”, deren Schwester seine Mutter ist
Gro Harlem Brundtland – “Was tun für eine nachhaltige Entwicklung?”